Vernachlässigte Tugenden

Tugend, das klingt so staubig, so konservativ. Ich ertappe mich dabei, dass mir das Wort unwillkürlich ein paar Nackenhaare hochstellt. Das muss der ewige Teenager in mir sein. Und doch hat mich das Leben in letzter Zeit gleich mehrfach mit Tugenden, bzw. ihrem Fehlen konfrontiert. Im beruflichen Kontext, da wo Tugenden meines Erachtens besonders zählen, weil sie etwas über die Menschen aussagen, die sie beherzigen – oder eben nicht.

Pünktlichkeit

Jaja, die wohl deutscheste aller Tugenden. Neulich in einem Konferenztelefonat mit transatlantischer Beteiligung wurde über die Pünktlichkeit der Deutschen gewitzelt, als ich anmerkte, dass ein Gesprächspartner um sechs nach Beginn noch nicht da war. Da kann man dann drüber schmunzeln und  als Deutscher total selbstironisch daherkommen.

Wenn es um meine Zeit geht, nehme ich das aber ganz und garnicht auf die leichte Schulter. Schon gar nicht, wenn jemand meine Zeit oder die von Kolleginnen in Anspruch nehmen will, weil er oder sie etwas von uns möchte. Initiativbewerber sind so ein Fall. Sie signalisieren Interesse an unserer Firma, wir signalisieren gelegentlich Interesse an der Person. Man macht einen Termin aus, um sich mal kennenzulernen und wer kommt nicht? Richtig, der Kandidat. Es kam nicht mal ein Anruf der Entschuldigung.

Sorgfalt

OK, vielleicht ist es eine Berufskrankheit, aber ich lese sogar Milchtüten, die auf dem Esstisch stehen Korrektur. Wenn ich dabei Fehler finde, was vorkommt, ist das für mich kein gravierendes Problem, eher für den Milchtütendruckvorlagenkorrekturleser, wenn es denn einen gab. Womit ich aber ein Problem habe, sind schludrige E-Mails und Anschreiben von Menschen, die etwas von mir wollen. Meine Aufmerksamkeit (Vertriebspitches), meine Zeit (Bewerber), meine Rückmeldung (Studierende, die Umfragen für Abschlussarbeiten machen (ein eigenes Thema)).

Wenn jemand etwas von mir will, soll er oder sie sich verdammt noch mal die Mühe machen, den Text an mich sorgfältig zu verfassen. Nicht nur in Sachen Rechtschreibung, sondern auch im Bezug auf mich oder meine Firma. Wenn auf unserer Job-Seite steht, an welche E-Mail-Adresse Bewerbungen gehen sollen und wer Ansprechpartner dafür ist, erwarte ich eine Mail an diese Adresse und mit eine persönlichen Ansprache. Und eben kein „Sehr geehrte Damen und Herren,…“

Heute kam eine Anfrage eines Studenten (des Marketings und der PR!) rein, der es schaffte, in 8 Sätze 7 Fehler zu packen. Ich habe ihn freundlich darauf hingewiesen, dass es seine Chancen erhöhe, wenn er sich die Tugend der Sorgfalt zu Herzen nähme.

Der Umstand, dass dieser Mann kein Einzelfall ist, lässt mich aber befürchten, dass diese Nettigkeit und auch dieser Blogpost nichts nutzen werden.

Hrmpflgrgh, ey!