Freie Demokraten #FDP – Keine Partei für jeden, aber eine Partei für alle

Posted by Tapio on

Das Setting ist der überwiegend grauhaarigen Stammwählerschaft geschuldet. Das große Haus des Staatstheaters Stuttgart mit seinen Stuckdecken, den hohen Rängen und Kristalllüstern ist seit Parteifreundsgedenken der Ort des Dreikönigstreffens der FDP. Doch heute hätte der Kontrast zum Geschehen auf der Bühne kaum stärker sein können. Keine Spur von Traditionsduselei, statt dessen ein lautes Signal zum Aufbruch.

Die Dramaturgie der Vormittagsveranstaltung ist simpel: Einer macht die langatmigen Begrüßungen, dann massiert ein Baden-Württembergischer Amtsträger seinen Parteifreunden aus der Region das Gemüt (immer schön drauf auf die Grüne Landesregierung!) und dann redet der FDP-Parteivorsitzende. Zum Schluss noch ein bisschen Zeit für die Spitzenkandidatinnen der Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen und dann sind zweieinhalb Stunden auch schon rum.

FDP 3K15 - Saal PanoramaNach Bundestagswahldesaster und einem Jahr der Selbstvergewisserung und -findung kam Christian Lindner als amtierendem FDP-Vorsitzenden eine, die einzige, Schlüsselrolle beim #3K15 zu. Die verunsicherte Parteibasis (keine Floskel, Beobachtung aus erster Hand) schaut auf zu ihrem Vorsitzenden, der glücklicherweise ein brillianter Redner ist. Das klingt jetzt nach Fanboy, geschenkt, aber ich habe noch keinen so präzise wie zugleich mitreißend formulierenden Politiker gehört. Christian Lindner spricht frei, erlaubt sich nur gelegentlich einen Blick auf Stichwortkärtchen aus der Jacketttasche, und ohne Rednerpult (das gleich ganz abgeschafft wurde).

Die von Medien wie enttäuschten Ex-Wählern seit Ende 2013 immer wieder zitierten Verfehlungen und Enttäuschungen in der letzten Regierungsbeteiligung hakt Lindner souverän und selbstkritisch gleich zu Beginn ab. Ein Redepunkt für’s Protokoll nach dem Motto „wir haben verstanden, wir kippen nicht mehr um und jetzt schauen wir bitte nach vorn“. Das nimmt den Dauernörglern den Wind aus den Segeln. Weiter im Text.

Lindners erste fünf Minuten sind entwaffnend und strotzen zugleich vor Selbstbewusstsein. Er bringt das Energielevel im Saal gleich mal auf das nötige Niveau. Er beschwört die Tradition der FDP gleichermaßen wie ihre Existenzberechtigung für die Zukunft. Statt eines Abarbeitens an den politischen Gegnern und deren Fehlern gibt es Philosophisches und Programmatisches zugleich.

Chancenrepublik – Zukunft machen, statt mit ihr zu hadern

Das Leitmotiv – aus dem internen Leitbildprozess der vergangenen Monate abgeleitet – ist das „Chancen ermöglichen“. Die FDP wolle eine „Chancenrepublik“, in der jeder, ungeachtet von Herkunft, sozialer Schicht, Einkommen und Bildung die Möglichkeit bekomme, etwas aus seinem Leben zu machen, „für sich und seine Familie“.

Es ist das urliberale Bild vom freien Menschen, dem Politik und Wirtschaft keine Steine in den Weg legen sollen. Die deutsche Version des „American Dream“, aber ohne den radikal marktliberalen Unterton, sondern ganz bewusst in der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Ehrhardts verwurzelt.FDP 3K15 - Republik der Chancen

Wer jetzt denkt, Lindner sei ein Sozialliberaler, wird aber eines besseren belehrt. Thema Bildung: mehr Entscheidungs- und Gestaltungfreiheit für die Schulen fordert er, weniger föderale Zerstückelung des Schulsystems und Investitionen in das Bildungssystem. Das Geld, das für milliardenschwere Rentengeschenke ausgegeben werde, wäre besser in Schulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen investiert, damit Schüler nach dem Gespräch über die neusten Smartphone Apps in der Pause nicht „in die Kreidezeit“ der Klassenzimmer zurückkehren müssten. Gut gebrüllt, aber nur sehr schwer umzusetzen.

Das Thema Wirtschaft beginnt Lindner mit einer Bilderserie von Garagentoren berühmter Silicon-Valley-Gründer und meint, „der deutsche Steve Jobs wäre schon an der Baunutzungsverordnung für seine Garage gescheitert.“ Lacher im Saal.

Überhaupt kann er auch unterhalten, ohne sich des Tricks seines Vorredners aus dem Südwesten zu bedienen, der tief ins Aphorismenlexikon griff. Seine Forderung, Gründen müsse so einfach werden „wie einen Mietwagen zu mieten“ werden sicher viele gern hören. Dazu gehört aber meines Erachtens auch, die Bürokratieflut nach der Gründung einzudämmen, damit Unternehmern eben nicht laufend Steine in den Weg gelegt werden.

Freisinn, frei nach Preußenfritze

„Freisinn“ nennt Christian Lindner das, was er für die Essenz des gelebten Liberalismus hält. Die Menschen sollten gemäß des Alten Preußenfritzen nach ihrer Façon glücklich werden können, ohne vom Staat unnötigen Vorschriften zu bekommen.

Wenn es um das Zukunftsthema Digitalisierung geht, zeigt Lindner die Chancen – Teilhabe, mehr Lebenskomfort, weniger Geldverschwendung etwa im Gesundheitssystem – auf, lässt aber nicht unerwähnt, dass die Vernetzung von Daten der Bürger nicht zulasten ihrer Freiheit und Würde gehen dürfe. Wenn beispielsweise Versicherungen ihre Tarife davon abhängig machten, welche Daten jemand in welchem Lebenskontext auch immer produziere, gehe das zu weit. Da sei es durchaus Aufgabe des Staates, den Bürgern Selbstbestimmung und Hoheit auch im Datenschutz zu gewährleisten.

Dass Lindner nicht sonderlich gut auf die US-Internetgiganten zu sprechen ist, wird besonders deutlich, als er über deren Steuervermeidungstricks spricht. Ohne LuxLeaks zu erwähnen darf man aber annehmen, dass diese Art von Trickserei künftig von der FDP bekämpft und nicht wie in der Vergangenheit eher befördert wird.

A propos Steuern: Die Idee der radikalen Vereinfachung des deutschen Steuersystems ist mitnichten aus der FDP-Wunschliste gestrichen, sie spielt nur nicht mehr wie einst unter Westerwelle die erste Geige. Angesichts dieses damals nicht abgelieferten Prestigeprojekts kein Wunder.

Knallharte Kante gegen Pegida-Hetze und AfD-Brandstifterei

Einen spürbar großen Teil seiner Rede widmet Lindner der aktuellen Stimmungslage in Deutschland, die er von Verunsicherung geprägt sieht, die Menschen in die Fänge von Populisten treibe. Die rückwärtsgewandte und am rechten Rand schwadronierende Pegida-Rhetorik bekommt von ihm eine ebenso klare Abfuhr, wie die AfD, die er als das genaue „Gegenteil dessen was Freie Demokraten ausmacht“ bewertet. Die AfD schüre die Ängste der Menschen, um in Parlamente zu kommen. Dem dürften Menschen, denen die freiheitliche Grundordnung Deutschlands teuer sei, nicht auf den Leim gehen.

In diesem Redeabschnitt wird Lindner deutlich und differenziert zugleich. Er erteilt Pauschalurteilen gegen „besorgte Bürger“ eine Absage, weil es Aufgabe der Politik sei, diesen Sorgen zu begegnen statt sie, die Leute, den Populisten in die Arme zu treiben. Er richtet sich aber genauso klar gegen Populisten und Extremisten von rechts wie links, die diese Sorgen für ihre Zwecke instrumentalisieren, um die Weltoffenheit Deutschlands einzuschränken. Er fordert ein Zuwanderungsrecht nach Kanadischem Vorbild, das Menschen ins Land holt, oder im Land behält, die Deutschland weiterbringen. Wie das aussehen soll, bleibt leider unausgeführt.

Verankert in der Wertewelt des Westens

Eine FDP-Veranstaltung wäre keine wenn es nicht ein klares Bekenntnis zur europäischen Einigung und zur westlichen Wertegemeinschaft gäbe. Mit Blick auf Putins Russland spricht Lindner von Kriegstreiberei und Bruch des Völkerrechts bei der Annektion der Krim. Und den neuen Putin-Freunden in der AfD stellt er das Grundgesetz entgegen, das jene mit ihrer Anbiederung an den Autokraten aus Moskau in Zweifel zögen.

Neuer visueller Auftritt – Das sichtbare Signal für den Aufbruch

Und ja, zum Ende der Lindner-Rede wird dann in Gänze sichtbar, was zuvor Stück für Stück in der großen Projektion hinter der Bühne angedeutet wurde. Die FDP gibt sich einen neuen, auffälligeren Look. Das neue Design allein wird keine Trendwende  in der Wählergunst einleiten, darüber zu spotten, ist billig. Aber eine vor bald anderthalb Jahren – ich sage zurecht – krachend gescheiterte Partei darf, ja muss sich als Symbol für ihren Erneuerungsprozess und den daraus hoffentlich resultierenden Wiederaufstieg ein weithin sichtbares Zeichen geben. Auch wenn’s erstmal in den Augen brennt.

das neue FDP LogoIch las schon auf dem Rückweg aus Stuttgart die skeptischen und nach wie vor spöttischen Stimmen. Und es stimmt, ein rhetorisch brillianter Christian Lindner allein wird die FDP nicht wieder zurück in die Parlamente führen. Es braucht in den Ländern und Kommunen neue Köpfe, die sich trauen, für die FDP und den freidemokratischen Gedanken zu stehen. Sich zu bekennen. Und vor allem entlang der Leitlinien, die das neue Leitbild zeichnet, programmatische und praktische politische Ideen für ein besseres Deutschland zu entwickeln.

Lindner streifte weitere Themen wie Flüchtlingspolitik, Energiepolitik und Freihandel/TTIP und nicht immer muss man oder kann man mit ihm einer Meinung sein. Aber das hat die FDP schon immer ausgehalten.

Kein Zweifel, wer die FDP gestern hämisch hasste, wird sie auch morgen nicht lieben. Aber für diejenigen, die sich enttäuscht abwandten, weil die „FDP – Die Liberalen“ nicht lieferten, was sie versprachen, stehen die Chancen dennoch gut, dass sie bei den „Freien Demokraten – FDP“ wieder eine politische Heimat finden. Und man kann dieser Partei seit heute mit Sicherheit auch keine Konturlosigkeit und Beliebigkeit der Positionen mehr unterstellen.

So erklärt sich auch der eingangs erwähnte Kontrast zwischen Ort und Inhalt des diesjährigen Dreikönigstreffens der FDP. Der Saal strömt edle Heimeligkeit von Vorgestern aus. Die Freien Demokraten aber werden künftig alles andere als heimelig daherkommen. Sie werden für ein weltoffenes, erfolgreiches und besseres Deutschland kämpfen. Wie es Christian Lindner bezüglich Wirtschaft und Bildung sagte: „Wir dürfen uns nicht mit ‚uns geht’s doch gut‘ und ‚Mittelmaß ist doch ganz OK‘ zufrieden geben. Wir müssen das Beste wollen für unser Land.“

Und damit wird die FDP zu einer Partei nicht für jeden, aber für alle. Es gibt Schlechteres.

 

(Soeben reingekommen, die Nachlesefassung der Rede von Christian Lindner als PDF).